Günter Eichberger
ALIAS
ISBN: 978-3-85415-425-9112 Seiten, brosch., erschienen 2008
“Nein, nicht wieder schlagen! Ich werde alles erzählen, alles.” Der hier unter ständiger Gewaltandrohung spricht, scheint ein berühmter Rockmusiker zu sein. Durch Elektroschocks hat er wesentliche Teile seiner Erinnerungen verloren. Er ist also auf Biographien angewiesen, die ihm sein Leben nahe bringen. Doch diesen misstraut er und verlässt sich lieber auf seine Erfindungsgabe. Freilich ergibt auch die zusammenfabulierte Lebensgeschichte in Summe kein konsistentes Ich; vielmehr verwehrt sich der Erzähler gegen jede Vorstellung von Identität: “Von mir aus könnte ich ein Kürbis sein, der an Schweine verfüttert wird. Oder eine Zelle, die sich teilt und teilt und teilt.” Er ist sich selbst buchstäblich fremd, kennt seinen Namen nicht und behauptet, sich bei Auftritten öfters von Doppelgängern vertreten zu lassen. Bei einem Imitatorenwettbewerb ist er als sein eigener Imitator nur Dritter geworden: “Die beiden anderen waren überzeugender, ich habe die Entscheidung sehr begrüßt. Die singen nicht nur ähnlicher, sie schauen mir auch ähnlicher als ich.”
ALIAS ist einerseits eine anarchisch-witzige Satire auf das Musikgeschäft mit seinem Starkult, andererseits eine Parodie auf die Genres Biographie und Memoirenliteratur. Aufs Korn genommen werden insbesondere Klischees aus der Biographik Bob Dylans, mit dem den Erzähler, der Dylan übrigens nicht ausstehen kann, zahlreiche Parallelen verbinden.
Die verankerten Lebenserinnerungen, bzw. -erfindungen lösen sich zunehmend in immer skurrilere Vorstellungen auf, wobei auch der Wortschwall in paradoxe Reflexionen und lyrische Aporie diffundiert. In der von ihm so exzellent beherrschten Art des Tiefstapelns lässt Eichberger seinen Erzähler um Begriffe wie Bewusstsein, Ich, Wahrnehmung, Erinnerung oder Sprache kreisend dahinkalauern und gelangt dabei auf ebenso unterhaltsame wie irritierende Weise zur zentralen Frage nach den kognitiven Voraussetzungen der (Auto)Biographie im Zeitalter von Gentechnik, virtual reality und Künstliche Intelligenz. Der zweite Teil beginnt folgerichtig mit dem Satz: “Als man mich obduzierte, fanden die Ärzte statt eines raumfüllenden Gehirns nur einen dünnen Faden.” Als Gehirn, das mit Elektroden stimuliert wird, versucht er sich heldenhaft seiner selbst zu versichern.