Felix Philipp Ingold (Hg.)
Marina Zwetajewa – Morgen soll für übermorgen gelten. Ausgesuchte Gedichte
ISBN: 978-3-85415-602-4280 Seiten, Hartband, erschienen 2020,
herausgegeben, kommentiert und aus dem Russischen übersetzt
von Felix Philipp Ingold
Marina Zwetajewa gilt als eine der stärksten, formal anspruchsvollsten Autorinnen der europäischen Moderne. Entsprechend schwierig ist ihr Werk zu übersetzen. Kühne Brüche und der Vorrang des Klanglichen erschweren verbindliche Sinnstiftung, provozieren sie aber auch. Erotischer Taumel, Kriegswirren, Emigration, Naturseligkeit, großstädtischer Horror sind nur einige der emotional extrem spannungsreichen semantischen Raume, die ihre zwischen strenger Artistik und ausgelassener Schwärmerei changierende Dichterrede durchmisst. – Felix Philipp Ingold lässt sich in seinen übersetzerischen Annäherungen von der melodischen und rhythmischen Dynamik der Originalgedichte leiten, um vergleichbare Energien in der Zielsprache freizusetzen. In sorgsamem, dabei durchaus eigen- willigem „Nachbau“ der russischen Vorlagen vermag der Dichter-Übersetzer deren offene Sinnpotentiale in höchster Intensität zur Wirkung zu bringen. Die vorliegende Auslese vereint neben zahl- reichen Erstübersetzungen (teils aus dem Nachlass) auch radikale Neufassungen kanonisierter Meisterstücke als emphatische Zeugnisse für den Reichtum an Möglichkeiten, die singuläre Lyrik Marina Zwetajewas heute auch in deutschem Wortlaut nachvollziehend zu lesen.
Ob erotischer Taumel oder Kriegswirren, ob Naturseligkeit oder großstädtischer Horror, alles wird von dieser Autorin unmittelbar aufgegriffen und literarisch anverwandelt. (Felix Philipp Ingold über Marina Zwetajewa)
Das Herausragende der Neuübersetzung von Felix Philipp Ingold ist, dass jedes einzelne Gedicht nicht Vers für Vers dem Originaltext folgt, sondern das Augenmerk auf der Prosodie und Intention des Gesamttextes liegt, sodass die Stimmungen und Tonarten in dieser Poesie zum Schwingen kommen und die melodische und rhytmische Qualität der einzelnen Verse und Strophen wie im russichen Original klingen.
(Wilhelm Huber, Die Brücke)
Zwetajewas Werk und Ingolds Übertragungen strotzen folgerichtig vor Inbrunst, Heftigkeiten und Emphase. An manchen Stellen lassen Ausrufezeichen und Gedankenstriche wenige Atempausen zu und manchmal hatte ich als Leser den Eindruck, dass nicht das lyrische Ich die Gedichte vorantreibt, sondern selbst von den Gedichten, vom Schreiben, vor sich hergetrieben wird; den Dynamiken der Texte wohnt fast schon ein verzweifelter Esprit, eine ausweglose Kür inne.
(Timo Brandt, signaturen)