Renate Bertlmann
AMO ERGO SUM
ISBN: 978-3-85415-074-93-bändige Ausgabe mit insgesamt 716 Seiten,
brosch., im Schuber, neuwertig, erschienen 1990
Trilogie
Die Trilogie AMO ERGO SUM gliedert sich in Teil 1: Pornographie, Teil 2: Ironie und Teil 3: Utopie. Die PORNOGRAPHIE befasst sich im engeren und weiteren Sinne mit dem Krieg der Geschlechter, den Tätern und Opfern und mit vielen weiteren Facetten des nackten Überlebens.
Die IRONIE spürt den in der Kindheit verwurzelten Sehnsüchten und Aggressionen nach und versucht mit den dabei aufkommenden Lust- und Ekelgefühlen fertig zu werden. Die UTOPIE gibt sich nicht, wie man vielleicht vermuten könnte, Zukunftsvisionen hin, ganz im Gegenteil, sie pflastert den Weg ins Ungewisse mit schweißtreibenden Exerzitien, wie Askese, Versagung und Ãœbungen im Sterben.
Diese vereinfachende Einteilung ist nur eine Notlösung, ein wegen der Komplexität des Unterfangens und Fülle des Materials notwendig gewordenes Ordnen und Strukturieren. Aber gerade während des Ordnens ist etwas sehr Wesentliches deutlich geworden: obwohl jeder Teil ein in sich geschlossener ist, sind sie alle drei engstens miteinander verflochten. Konsequenterweise haben sie einander durchdrungen, was bedeutet, daß die PORNOGRAPHIE ironisch und utopisch, die IRONIE utopisch und pornographisch, die UTOPIE pornographisch und ironisch ist. Renate Bertlmann
Konrad Paul Liessmann in Der Standard vom 10.2.1990 über das Buch:
Seit 1978 arbeitet die 1943 in Wien geborene Renate Bertlmann an einem Projekt, das die vielfältigen Ausdrucksformen der Künstlerin – Objekte, Montagen, Zeichnungen, Installationen, Performances, Aphorismen und Gedichte – einer Idee, einem Konzept unterordnet: amo ergo sum. In geschmackvoller Ausstattung hat der Ritter-Verlag nun die Dokumentation dieses umfangreichen und anspruchsvollen Unterfangens vorgelegt. Nicht nur werden die wichtigsten Stationen in der künstlerischen Entwicklung Renate Bertlmanns dabei festgehalten, die Bilder korrespondieren immer wieder mit Texten: essayistischen Anmerkungen verschiedener Autoren zum Werk oder Werkaspekten, Reflexionen der Künstlerin und ihren poetischen Versuchen.
Amo ergo sum ist als Trilogie konzipiert. Natürlich zitiert und kontrapunktiert der Titel das Cartesianische Cogito. Bei aller damit verbundenen Kritik an einer als männlich interpretierten Rationalität bedeutet das aber nicht, daß Bertlmann das Denken schlicht durch die Liebe ersetzt haben will. Vielmehr geht es ihr darum, die Liebe, gerade in ihrer widersprüchlichen Struktur, als einen steten Wechsel von Selbstschöpfung und Selbstvernichtung, ein Sichfinden und ein Sichverlieren, als Tummelplatz der Eitelkeiten, des Pathos, der Obszönitäten und grausamsten Verletzungen zu erkennen und ästhetisch zum Ausdruck zu bringen.
Dem entsprechen auch die Teile der Trilogie: Pornographie, Ironie und Utopie. Pornographie ist eine kühle, witzige, pointierte Abrechnung mit den Phantasmen männlicher Sexualität, in der es Bertlmann um die ironische und, so Peter Gorsen, poetische Verfremdung der Artefakte und Relikte männlicher Lust geht: des Phallus und seines Präservativs vor allem; die Arrangements und Konstellationen, in die Bertlmann diese Objekte versetzte, können in der Tat den Anspruch erheben, den gleichermaßen üblichen wie üblen Männerwitz, dessen obszöner Gegenstand die Frau ist, umgekehrt und mit Schärfe gegen den Mann selbst gerichtet zu haben: die Phallokratie, preisgegeben dem Gelächter.
Ironie, der zweite Teil, nimmt sich hingegen nicht das Geschlechterverhältnis zum Gegenstand, sondern die Möglichkeit eines Verhältnisses zur Welt überhaupt. Dabei geht es Bertlmann darum, in der Ironie ein zutiefst subversives Verhalten, ein ?An- Spielen, Vor-Spielen, Mit-Spielen zu entdecken, eine Selbst-Behauptung und eine Selbst-Enthauptung: Meinen Kopf am eigenen Schopf vor mich hertragend, kann ich die Welt mit der nötigen Instanz und aus verschiedenen Blickwinkeln betrachten.
An der Liebe selbst entdeckt BertImann diese ironische Struktur und versucht sie – vielleicht nicht mit derselben schneidenden Brillanz wie in Pornographie – zu visualisieren.
Utopie schließlich, der dritte Teil, markiert jedoch keinen Ausweg aus den Dilemmata der Beziehungen. Es geht der Künstlerin dabei nicht um billige Zukunftsvisionen, sondern um den Weg ins Ungewisse mit schweißtreibenden Exerzitien, wie Askese, Versagung und Ãœbungen im Sterben. Angereichert mit archaischen und modernen Mythologemen wird dieser Weg vor allem in Aktionen demonstriert.
Die drei Teile von amo ergo surn stellen fraglos ein avanciertes ästhetisches Programm dar. Soweit die Abbildungen ein Urteil zulassen – und die photographische Dokumentation von Objektkunst, von Installationen und Performances ist, wie geglückt im einzelnen die Sequenzen auch sein mögen, prinzipiell problematisch – scheint Renate Bertlmann über weite Strecken eine Einlösung dieses Programms geglückt zu sein.
Es dürfte aber der wesentliche Vorzug dieser Publikation sein, daß sie jenseits der künstlerischen Akte, die ihr zugrundelagen, durchaus als selbständige ästhetische Einheit zu bestehen vermag, das Projekt amo ergo sum damit im intelligenten Arrangement von Reproduktion und Text eine neue, eigenständige Gestalt gewinnt.