Helmut Schranz
BIRNALL, Es ist unter der Haut
ISBN: 978-3-85415-441-9136 Seiten, brosch., erschienen 2009
Wenn der Titel dieses Buchs die trivial-solipsistische Auffassung suggeriert, wonach die Grenzen des subjektiven Bewußtseins auch die Grenzen der Welt wären und die Epidermis der Grenzstreifen zwischen den Welten, sollte dieser Behauptung nicht (nur) empathisch begegnet werden, umschreibt Helmut Schranz eine Intention seiner Prosa.
Die ProtagonistInnen seiner Texte heißen per Nachname (fast) durchwegs Birnbaumer, und es ist einerlei, ob diese vom Autor ganz unspektakulären Alltags-Routinen oder existentiellen Grenzsituationen ausgesetzt werden; stets verkeilen sich die Erzählungen in der feingliedrigen Montage von Wort- und Satzfragmenten aus trivialen Textsorten und (pseudo)wissenschaftlichen Diskursen, die Birnbaumer-Figuren spalten sich auf, leben in ein und demselben Satz in verschiedenen Sinnwelten. Wenn auch Schauplätze oder (amouröse) Konstellationen an die reale Umgebung des Autors Helmut Schranz gemahnen, so bildet BIRNALL eine Textwelt für sich, in der das System herkömmlicher Logik umgestülpt, die Ebenen sprachlicher Bezüge aufgewölbt und die Koordinaten der Wahrnehmung in sich verdreht erscheinen. Solche Verzerrungen machen den Blick frei auf die herkömmliche Sicht der Dinge.
BIRNALL, das als work-in-progress über den Zeitraum von eineinhalb Jahrzehnten entstanden ist, versteht sich als Summe der von Schranz erprobten Verfahren der Sprachsatire, die mittels paradoxem Wortwitz, strategisch gesetzten Kalauern und gespielter Melancholie allen Formen poetischer Freilichkeit den Garaus macht. Im kritischen Visier hat Schranz indes auch jenen experimentellen Schreibansatz selbst, dem sich BIRNALL verdankt: Der Intellekt bietet eine der Möglichkeiten, mit allem Möglichen nicht fertig zu werden.
… Gäbe es eine Literaturtheorie, die sich mit aktuellen Formen der Avantgarde befaßte, könnte sie kritisch hinterfragen, inwieweit Schranz` widerständige Perspektiven zeitgemäß und relevant sind. So aber bleibt es den Lesern von „Birnall“ selbst überlassen, sich ein Urteil zu bilden. Oder bei den Buchpräsentationen aus dem Dunkel der letzten Zuhörerreihe mit einem Lachkrampf zu kontern. (Werner Schander, in: Falter, 25/09, Juni 2009)
… Eine anarchisch-spontane Bereitschaft zum aktionistischen Handeln ist diesem Verständnis von Avantgarde zueigen, allerdings jenseits jedweder naiv-reduzierender Hau-drein-Mentalität. Gelebt wird aus der Literatur heraus vor dem Hintergrund ihres sprachlichen Befreiungspotentials, aber hinein in den privaten und öffentlichen Alltag, wobei die politischen Zumutungen an den Texten sichtbar werden als irritierende Beschädigungen, als einzeln Gezeigtes, das aber nicht in der großen Erzählung der Ideologie verschwindet. … (Gerhard Fuchs, in: Literatur und Kritik, Heft 441/442, 03/2010)