Günter Eichberger
HIRN OHNE GRENZEN
ISBN: 978-3-85415-564-5104 Seiten, brosch., erschienen 2017
Ein Gehirn bildet bislang ungeahnte Zentren und dehnt sich bis zur Größe des Universums aus: Kopf und Weltall sind identisch. In Gang gesetzt werden solcherlei Gedankenexperimente in Günter Eichbergers „Hirn ohne Grenzen“ von einem Ich, das sich selbst in jedem Satz neu entwirft. Im Zwiegespräch mit sich selbst durchstreift diese fluktuierende Erzählinstanz bekannte und unerschlossene Gebiete heutiger Kognitions- und Neurowissenschaften: Was ist Bewusstsein und wie kommt es zustande? Wer spricht, wenn jemand „Ich“ sagt? Wie verhalten sich mentale Prozesse und neurologische Messdaten zueinander? Und welche Rolle spielt die Sprache bei der Kognition? Bei so viel Aporie zieht es Eichbergers Spielfigur vor, doch lieber mit dem „Darmhirn“ zu denken…
In ausschweifenden Phantasien ruft der Autor erkenntnistheoretische Modelle und solche aus der Gehirnforschung auf, die er im Wörtlichnehmen ihrer Sprachbilder zerstieben lässt. In einem Furioso an paradoxen Aphorismen, vorgeblichen Kindereien und echten Geistesblitzen findet ein ungezügeltes dichterisches Denken seinen unverwechselbaren Ausdruck: Selten wird die Unzulänglichkeit sprachlicher Weltaneignung derart pointiert zur Sprache gebracht.
Eigentlich sind es immer wieder Versuche, sich zu lösen – vom eigenen Denken, vom Ego, von der Sprache. Ein unlösbares Problem, zweifellos. Aber Günter Eichbergers Expeditionen durch die Kopf- und Sprachlandschaften sind ein brillantes, selbstironisches Meisterstück. In etlichen Passagen befindet er sich nicht nur auf Augenhöhe mit den großen französischen Sprachskeptikern wie Francis Ponge oder Jacques Lacan (an dessen Erkenntnisse er exzellent anknüpft). Er landet auch bei scheinbar lapidaren Aussagen, die sich wie ein geistiger gordischer Knoten erweisen. Ein doppelbödiges Spiel mit der steten Unfertigkeit des Denkens und Schreibens, verfasst von einem exzellenten Analytiker, der sich immer wieder auf die Eingangspforte der Welt zubewegt, mit Papier und Bleistift in der Hand und erkennen muss: Ich schreibe, daher bin ich – allein.
(Werner Krause, „Kleine Zeitung“ vom 23. 12. 2017)
Weiterer Rezensionsverweis:
Hendrik Jackson, signaturen-magazin.de/guenter-eichberger–hirn–ohne–grenzen.html