Gerhard Rühm
lügen über länder und leute. vollständige erzählungen und gedichte.
ISBN: 978-3-85415-476-1128 Seiten, brosch., 1. Auflage, neuwertig, erschienen 2011
Die hier versammelten Arbeiten aus sechs Jahrzehnten vereint das gemeinsame Grundkonzept einer konsequenten Vorselektion des Wortmaterials: Diese wird bald nach inhaltlichen Gesichtspunkten gehandhabt wie etwa in der Erzählung „mit lanner unterwegs“, in der auf gerade drei Seiten sämtliche (rund 200) Werktitel des Komponisten vorkommen, bald nach lautlichen Gesichtspunkten wie in den 24 Gedichten „lügen über länder und leute“, die (nahezu) vollzählig die mit den jeweiligen Völkernamen verbundenen Reimwörter enthalten.
In „die entfesselte küche“ wiederum serviert der Autor dem Leser eine ganze Wortbildungsklasse: Debrecziner, Wiener, Kieler oder Salzburger treiben mit den nach ihnen benannten Würstchen, Schnitzeln, Sprotten und Nockerln ihr Unwesen und schon einmal ordentlich Unzucht.
Zum Kalkül der „vollständigen erzählungen und gedichte“ gehört, dass sich ihre skurrilen Pointen gerade aus der Beschränkung durch diverse Listen, Vokabularien und Kataloge heraus entfalten, ihr unbändiger Sprachwitz nicht zuletzt aus dem Zwang der Regeln resultiert. Nicht nur damit rücken diese feingeschliffenen poetischen Gebilde jedweder Form literarischer Phrasendrescherei und Dampfplauderei zu Leibe.
… Mit lachender Schaufel macht sich der 81-jährige Klangerotomane ans Umgraben des Sprachstilackers, schreibt eine österreichische Länderkunde und wirft dabei Fragen auf (“vorarlberger/haben viel ärger/vor jedem Berg/hockt/ein gartenzwerg/und bockt/verstockt,/wenn ein urlauber joggt/ist das so in vorarlberg?”). Es ist die Errettung der Welt durch homerisches Lachen, Schwitter`sche Kraftkombination und Jandl`sche Wucht. Es ist die Anknüpfung an Zeiten, als Literatur ein Buchstabenspiel von verwirrender, betörender Virtuosität war . (Alexander Kluy, in: Der Standard, 26. 11. 11)
… Ziel seiner konzeptionellen Poesie ist seit jeher die Sensibilisierung für und das Aufbrechen von Wahrnehmungs- und Kommunikationsmechanismen. Rühm geht es bei seiner experimentellen Spracharbeit von Beginn an um die Erweiterung der Grenzen sprachlicher Kommunikation und des menschlichen Bewußtseins. “Lügen über Länder und Leute” gelingt das auf besonders leichte und humorvolle Weise. Ein kleines unverzichtbares Rühm-Brevier für alle Freunde konzeptioneller Poesie. (Michaela Schmitz, für Literaturhaus.at, Dez. 2011)
… Gerhard Rühm ist der Deutsche unter den österreichischen Schriftstellern. Er geht ungeheuer diszipliniert vor, und wenn er aus dem Rahmen fällt, dann macht er das nach einem strengen, ausgeklügelten System. … Er ist versessen auf die Abgründe der Sprache, die verborgene Bedeutungen bereithält, wenn man sie zu finden weiß. … (Anton Thuswaldner, in: Salzburger Nachrichten, 18. 2. 2012)
… Das Spiel ist Rühms Dichtung verwandter als die Botschaft. Die lautliche Seite der Sprache ist ihr nicht weniger wichtig als die semantische und pragmatische. Sie verweist stets weniger auf eine außersprachliche Wirklichkeit als auf sich selbst – und folgt damit einem Kriterium. das nach Ansicht einiger bedeutender Theoretiker Literatur überhaupt erst konstituiert. Rühm steht damit im Zentrum einer ihrerseits marginalisierten Tradition des 20. Jahrhunderts, die weit über Österreich hinausgeht und von Chlebnikov und Krutschonych über Heißenbüttel bis zu Raymond Queneau und Georges Perec reicht. (Thomas Rothschild, in: Die Presse, Spectrum, 18. 2. 2012)