Felix Philipp Ingold
Niemals keine Nachtmusik
ISBN: 978-3-85415-557-7104 Seiten, brosch., mit CD, erschienen 2017
„Niemals keine Nachtmusik“ enthält thematisch höchst unterschiedliche, informell, nach „innerer“ Notwendigkeit angelegte, teils in Prosa-Betrachtung mündende Gedichte Felix Philipp Ingolds aus den letzten zehn Jahren, dazu ein Hörstück für drei Stimmen. Konzentriert und nonchalant zugleich unternimmt der findige Form-Experimentator und Forscher von Wirkungen poetischer Sprache Sondierungsgänge ins System sprachlicher Zeichen und untersucht im kreativen Prozess Mechanismen der Produktion von Bedeutung und Sinn. Ingold durchstreift dabei einen ganzen Kosmos an Tradition von Kunst, Dichtung, Musik und Philosophie, umkreist Fremdes mit Anspielungen und amalgamiert solches mit Eigenem zu hochkomplexen poetischen Gebilden.
Eine solche Lyrik befördert eine Art umfassenden Verstehens: Im Gleiten über die Brüche zwischen Wörtern und Sätzen, im Driften entlang von Gleichklang und Mehrfachbedeutung, im Nachvollzug gedanklicher Zickzackbewegungen und Rösselsprünge werden kognitive, emotionale und körperliche Effekte zugleich stimuliert. Mit Ironie, akkuratem Humor und Wortwitz beutelt Ingold konfektionierte Lyrismen und gängige Weisen metaphorischen Denkens durcheinander und führt uns vor, wie sich poetisches Sprechen heute aus jedem Gedicht heraus neu zu entwerfen vermag.
Felix Philipp Ingold zu rezensieren, das ist, wie die Sprache zu rezensieren. Also unmöglich. Er lauscht ihr, er lauscht dem Sein und den Organen der Vernunft das ab, was er zu schreiben scheint: präzise, originell, … zum Lesen einladend, aber eben nicht rezensierbar.
Stattdessen also eine versuchsweise Lektüre – oder: Kontextualisierung? Vereinnahmung? Fortschrift? Dekonstruktion?
„Den Flügel überrascht der Flug”, so Ingold. Geht es da nicht vielleicht um dieses Paradoxon, daß es sich „bei der Bildung eines Organs […] um eine Interpretation” handelt, wie Nietzsche mutmaßt? Das Organ ist als Deutung Antizipation von Deutbarkeit, aber wie die Wette auf das, was man – so Blanchot – wie das Organ „zu seiner Aufnahme benötigen” würde, so auch eben dessen Überraschung durch die Aufnahme.
Immer finge so alles an:
„Ein Ah! ist der Anfang von allem und heisst
soviel wie […] nichts.”
So springen sie, die „Götterfunken”, doch diese „Funken” würden „den Rest der Welt […] verdunkeln”, man hüte sich. Und in der Tat, optimierte man die Draufsicht auf das, was ist oder sei, bliebe das „das windige Vieleck unten” – „platt mit dunklen Flecken”, wie es bei Dillard heißt…
Man sehe, etwa: Logikwolken, rätselhaft beredte „skyscapes” (so Klaus Reichert):
„Wolkenränder […]. Was jeder sehn kann,
kann keiner beweisen.”
Was Ingold zeigt, kann jeder – hernach – sehen.
Und zu leben mag wesentlich heißen, solche Bücher: dieses Buch zu lesen; und es zu verstehen … und mit diesem Gelesenen: alles..?
(Martin A. Hainz, “Fixpoety”, Juni 2017)