Enno Stahl
(& NOCH) EINE SIZILIANISCHE REISE
ISBN: 978-3-85415-271-2224 Seiten, brosch., erschienen 2000
Zwei deutsche Pärchen, eines aus dem Rheinland, eines aus Ostdeutschland, reisen im Winter 1996 gemeinsam nach Sizilien. Man kennt sich, aber, wie diese Unternehmung zeigt, offensichtlich nicht gut genug.
Diese Italien-Fahrt der beiden Autoren Olli und Franz und ihrer Frauen Asta, einer Künstlerin, und Rieke, einer Historikerin, findet vor dem Horizont einer deutschen Identität statt, die sich aus den kulturellen Erfahrungen und Reiseberichten früherer “Touristen” aus Deutschland (Riedesel, Bartels, Münter, Goethe, Seume, Waiblinger, Platen u.a.) aus dem Land, wo die Zitronen blühen, speist. Jeder Besucher Italiens führt Vorwissen und Erwartungen mit sich, konfrontiert die allgegenwärtigen Spuren von der Antike bis zur Gegenwart mit der eigenen, individuellen Geschichte. Mit dem Übertritt auf die “terra mitica” Sizilien werden historische und philologische Lektüreerlebnisse wach. Zugleich erweist sich, daß deren Deutung und Identitätsstiftung in Ost und West verschieden ausfällt, daß angesichts des kulturell Anderen auch die Gegenwart sehr unterschiedlich aufgefaßt wird.
Die “deutsch-deutsche” Reisegruppe, ursprünglich gut befreundet, erlebt wachsende Verständnisschwierigkeiten, gleichzeitig wird das Geschehen immer unwirklicher und unfaßbarer – eine Trennung zwischen Fiktion und Wirklichkeit ist nicht immer möglich. Die Beziehungen der Protagonisten zueinander geraten in einen fluktuierenden Zustand, und die (magisch-)historische Erde Siziliens wird so zum Ort einer Nagelprobe einer Freundschaft zwischen Ost und West.
“Daß das hier so schlimm ist !” “Es gibt halt keine wirkliche soziale Absicherung”, erläutert Rieke, und Franz ergänzt: “Eben. Das ist echt brutal! Wißt ihr, wieviel in Italien ein Arbeitsloser kriegt?” – und antwortet selbst drauf: “Keine vierzig Mark. Das muß man sich mal vorstellen. Das reicht nich mal für sechs Bier!” “Au Mann, sechs Bier im Monat, das wär zu wenig!”, jammert Olli, wird aber gleich wieder froh: “Jedoch, wie`s der Italiener macht, kann uns egal sein. Hauptsache, wir leben in dem feinen deutschen Sozialstaat, und das Arbeitsamt zahlt !“ “Genau!” Darauf stoßen sie an und kippen die letzten Reste ihrer Drinks. (Aus dem Inhalt)
Enno Stahl wählt den Schnodder-Sound mit Bedacht. Franz jedenfalls lässt er über die deutsche Literatur klagen: “Ich seh` nur zwei Richtungen, Mainstream oder derart experimentell, dass man`s nicht lesen kann. … Den Deutschen fehlt die Leichtigkeit.”
in: Stadtrevue, Köln Magazin (8/2000)