August Staudenmayer
Waldschallers Einsatz
ISBN: 978-3-85415-370-2199 Seiten, brosch., neuwertig, erschienen 2005
Spinner und Klugscheißer lernte ich in der Psychiatrie genug kennen. Und wenn mir heute „heraußen“ einer begegnet, der nie in der Psychiatrie war, und ich ihn reden höre, fühle ich mich nicht in die Zeit in der Psychiatrie zurück versetzt, weil man die nicht vergleichen kann. Die Spinner „drinnen“ hatten meistens wirklich was drauf. Sie konnten wirklich irgendetwas Außergewöhnliches. Das machte ihnen wahrscheinlich derartig große Angst, dass sie in die Psychiatrie flüchten mussten.
Waldschaller wähnt sich im Einsatz, obwohl es anscheinend nichts zu tun gibt. Er ist nicht wirklich im Geschäft, aber zumindest am Schauplatz. Ein Schaulustiger am Rande, auch wenn es für andere kaum etwas zu sehen gibt. Er hat seltsame Freunde – Spinner, Klugscheißer, arme Irre zuhauf. Für die anderen der nette Herr von nebenan, weder jung noch alt, der durch Unauffälligkeit ins Auge sticht, aber meist im toten Winkel stehen bleibt. Normalerweise ein gutmütiger Kauz, nicht wirklich wahnsinnig, eher mit einem Anflug von Irrsinn, einem Hauch von Durchgedrehtheit.
„Was kannst du sonst noch?“, fragte ich ihn. „Weiß nicht, was du meinst.“ „Welche magischen Dinge beherrscht du noch?“ „Nichts“, antwortete er. „Aber durch eine Wand gehen, das ist doch völlig irre“, rief ich, „du bist ein Magier, ein Zauberer!“ „Nein“, sagte er und blieb stehen, „nein. Wir sind hier in der Psychiatrie.“ Er lächelte.
August Staudenmayers Figuren sind Sehende, obwohl oder gerade weil sie häufig Außenseiter sind. Es sind Menschen mit besonderen Schicksalen und einer besonderen Sensibilität allen jenen Vorgängen gegenüber, die das Leben in Gesellschaft oft schwierig machen. Gerade die Figur des Waldschaller vereinigt in sich all die augenzwinkernde Trauer, den melancholischen Übermut und die kluge Vorsicht, die nur ein Mensch haben kann, dem sein Dasein schon besonders viel abverlangt hat, und der trotzdem immer noch nicht ruhigen Herzens „ich“ sagen kann.
Edith-Ulla Gasser, Ö1